Einleitung 2014

Im Herbst 1995 fasste ich meine Kenntnisse über die Hoisbüttler Kriegsteilnehmer des I. Weltkrieges in einer Schrift zusammen. Seit 2009 sind Unterlagen der Standesämter nach gewissen Sperrfristen zugänglich. Eine Auswertung der Sterbeeinträge des Standesamtes Bergstedt für die Zeit des I. Weltkrieges und Auskünfte der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht führten zu dem heutigen Ergebnis von 30 Kriegstoten aus Hoisbüttel.
Auf der Suche nach den Toten In meiner Kindheit und Jugend war der II. Weltkrieg häufiges Thema in den
Gesprächen der Erwachsenen, sei es bei Treffen innerhalb der Familie oder in den Gesprächen mit den Nachbarn. Wie üblich lebten wir mit Flüchtlingen unter einem Dach. Mit einer Familie bis zum Tode der Nachbarin.
Flucht und Vertreibung; die Bombardierung Hamburgs und die zeitweilige Aufnahme entfernter Verwandter, die zur Tochter nach Breslau zogen um dann hochbetagt noch rechtzeitig nach Hamburg zurückzukehren; missglückte Flucht und Vertreibung der Nachbarfamilie; Erlebnisse des Vaters und seiner drei Brüder, die alle den Krieg äußerlich unversehrt überlebten; ein Bruder der Mutter, der vermisst wurde; die Invaliden.
In der Grundschule brachten Lehrer das Thema auf den Krieg und auf ihr Verhalten zu der damaligen Zeit. Als Mittelschüler sprach ich oft mit Klassenkameraden auf dem Nachhauseweg über den Krieg und das „was wäre
wenn“.
Und dann gab es zentral im Dorf gelegen das Kriegerdenkmal mit den Namen der Gefallenen des I. Weltkrieg, an dem man wohl täglich vorbei kam, auf dem Weg zu Oma und Opa, der in diesem Krieg sein linkes Bein einbüßte, oder zum Bäcker oder Schlachter. Mein Vater konnte mir zu den meisten Namen etwas sagen. Die verwandtschaftlichen Verbindungen zu den Lebenden im Dorf waren ihm präsent.
Dieses Denkmal aus dem Jahre 1921 dient seitdem jedes Jahr als Bezugspunkt für eine Gedenkfeier. Der Standort des Denkmals hat sich geändert und ebenso das Datum der jährlichen Feier, deren Name und deren Ausrichtung. Aber überall im Lande wird in den Dörfer am Kriegerdenkmal die Feier des Volkstrauertages,
des wichtigsten nationalen Gedenktages, abgehalten; stets findet eine Feierstunde im Plenarsaal des Bundestages statt.
War es der Nachhall der Erklärungen meines Vaters oder das fehlende Bein meines Opas oder der Kriegsgräbereinsatz Mitte der 1960er Jahre in der Nähe von Verdun? Was bewog mich vor bald 20 Jahren mich mit diesen Namen, diesen längs aus dem kollektiven Gedächtnis des Dorfes Verschwundenen zu
beschäftigen?
Und nun, da sich der Beginn des Krieges zum 100. Male jährt, nehme ich die Arbeit wieder auf.

Damals dienten mir die Namen auf dem Gedenkstein (1921), die Aufzeichnungen der Lehrer in der Schulchronik, die Gedenktafel in der Bergstedter Kirche (1922, verbrannt) und die Ehrentafel der Gemeinde Hoisbüttel für die Gefallenen u. Kriegsteilnehmer des Weltkrieges 1914/18, die vermutlich für fast alle Gemeinden des Landes existieren, sowie die Mitteilungen älterer Dorfbewohner als Grundlage für ein kleines Heft „Hoisbüttels Teilnehmer am I. Weltkrieg“. Die Gewährsleute sind längst tot aber mit den Personenstandsunterlagen aus dieser Zeit steht nun eine wichtige Quelle zur Verfügung.
Neben den üblichen Angaben finden sich hier auch die Todesursache, -zeit und -ort. Recherchiere ich dann im Internet über die Geschichte des betreffenden Ortes in Belgien oder Frankreich bewegt mich das Schicksal dieser meist jungen Männer, die ihr Leben in den berühmten Schlachten dieser Gegend ließen. Und die Suche beim Gräbernachweis des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist für einige der Männer erfolgreich. Aber in den Familien ist das vorhandene namentliche Grab oft nicht bekannt.
Für 30 Namen habe ich mittlerweile die amtliche Todesnachricht gefunden.
Was ist damit gewonnen? Wen interessiert es? Mich auf jeden Fall. Ich freue mich, wenn sich eine mündliche Überlieferung bestätigt, wenn ich z. B. nun den Geburtsort von Heinrich Timmermann kenne, der wohl doch kein Schuhmacher und mit fast 37 Jahren der älteste Kriegstote und unverheiratet war. Letzteres ist wohl auch der Grund, warum von ihm, wie für drei andere auch, kein Foto auf der Ehrentafel wiedergegeben ist.
Der I. Weltkrieg ist ein fernes Geschichtsdatum, dessen Auswirkungen überwunden sind. Mahnen uns die Namen des Kriegerdenkmals? Gedenken wir, wenn überhaupt ihrer nicht nur bei der jährlichen Feier am Volkstrauertag? Und was macht es, ob es 21 oder 30 Tote „Hoisbüttler“ im I. Weltkrieg gab?
Wer ist Hoisbüttler?
Eindeutig ist die Antwort dieser Frage für die amtlichen Stellen. Sie meldeten die Daten an das für den letzten Wohnsitz des Toten zuständigen Standesamt Bergstedt. So verfuhren die betreffenden militärischen Einheiten während des Krieges, das „Zentralnachweisamt für Kriegerverluste und Kriegergräber in Berlin-Spandau“ zwischen den Kriegen und die „Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt)“ nach dem II. Weltkrieg.
Die Initiatoren des Kriegerdenkmals hatten andere, uns nicht bekannte Kriterien.
Es finden sich (a) alle „gebürtigen“ Hoisbüttler darunter, jedoch wohnten (b) drei von ihnen bei Kriegsbeginn nicht mehr im Ort. Und von den (c) Zugezogenen finden sich nur vier auf dem Denkmal. Sie waren der Einwohnerschaft vermutlich präsenter als (d) die beiden in der Schulchronik Erwähnten und (e) die anderen vier, von denen wir nur aus den Standesamtsunterlagen Kenntnis haben.  Zwei Weitere, zu (b) bzw. (c) fanden dann auf der Gedenktafel in der Bergstedter Kirche Erwähnung.
Ein Letzter aus der Gruppe (c) wurde auf der Ehrentafel der Gemeinde Hoisbüttel aus den 1930er Jahren mit aufgenommen.


Mit den hier genannten 30 Kriegstoten aus Hoisbüttel umgehe ich alle Definitionen des Begriffs „Hoisbüttler“. Einmal kann ich das Kriterium der amtlichen Stellen als das für diese einzig Sinnvolle nachvollziehen. Andererseits gibt es keine überzeugenden Gründe, einige der mit dem Kriegerdenkmal, der Gedenktafel in der Kirche und der Ehrentafel der Gemeinde Hoisbüttel tradierten Namen nicht mit aufzunehmen.
Wahrscheinlich gibt es keine weiteren Hoisbüttler Kriegstoten aus dem I. Weltkrieg. Dafür taucht in der Liste der 30 sicher der eine oder andere Tote auf, dem in seinem Geburtsort vermutlich nicht gedacht wird!

Bei dem Ermitteln der Kriegstoten des II. Weltkrieges bin ich entsprechend vorgegangen. Die 1995 zusammengestellte Liste von 41 Kriegstoten aus Hoisbüttel habe ich um die sechs weiteren in den Standesamtsunterlagen aufgefundenen ergänzt.  Der Anteil der durch die „Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt)“ erbrachten Nachweise ist mit 21 hoch. Hierbei handelt es sich um Vermisste oder nicht in Hoisbüttel Wohnende. Auch lässt sich eine weitere Personengruppe unterscheiden: zeitweilig in Hoisbüttel Wohnende.

Bei den Kriegstoten des I. Weltkrieges aus Hoisbüttel handelt es sich „nur“ um Angehörige der Streitkräfte, da bis auf in Ostpreußen auf deutschem Staatsgebiet keine Kampfhandlungen stattfanden, zivile Opfer somit für unsere Gegend auszuschließen sind. Für den II. Weltkrieg stellt sich die Situation ganz anders dar. Als Kriegstote oder Menschenverluste des II. Weltkrieges werden die Menschen bezeichnet, die durch Kriegshandlungen getötet wurden; im weiteren Sinn auch die, die durch Massenverbrechen im Kriegsverlauf und Kriegsfolgen ihr Leben verloren. Für die bis 1943 in Hoisbüttel Lebenden mag es außer den Wehrmachtsangehörigen keine weiteren unter diese Definition Fallenden geben. Aber die ab 1943 auch nach Hoisbüttel strömenden Ausgebombten, Flüchtlinge und Vertriebene haben außer dem Tod ihrer Väter und Söhne als Soldaten auch weitere Tote zu beklagen. In den Jahren nach dem Kriege hat man andere Sorgen, als diese Namen zu erfassen. Und nach der Gründung der BRD können Viele in andere Bundesländer umsiedeln. Heute halte ich das Unterfangen, das Kriegerdenkmal durch eine Namenstafel mit den Opfern/Kriegstoten zu erweitern für verfehlt und aussichtslos. Es kann nur darum gehen, die hier wiedergegebene
Liste mit 47 Namen durch systematisches Befragen der ehemaligen Ausgebombten, Vertriebenen und Flüchtlinge und deren Nachkommen zu erweitern, wissend, dass eine vollständige nicht zu erreichen ist. Dies wäre eine weitere Gruppe von Kriegstoten: Angehörige der nach Hoisbüttel Gezogenen.